Ankommen, kennenlernen, vernetzen

Integrationsbeauftragter
PNP, Baumgartner

23. April 2022

Plattlings Beauftragter für Integration, Herbert Petrilak-Weissfeld (SPD), sieht keine Spannung zwischen Geflüchteten aus der Ukraine und Russlanddeutschen. Russischsprechende könnten viel mehr bei Integration helfen.

Als Integrationsbeauftragter, wie sehen aktuell ihre Aufgaben aus?
Herbert Petrilak: Das ist eine Position als Mittler zum Stadtrat und zur Verwaltung, wenn also Migranten jeglicher Art damit ein Problem hätten, dann haben sie mich als zusätzlichen Ansprechpartner. Meine Rolle sehe ich nicht als Veranstalter irgendwelcher Events, dazu habe ich auch gar keinen Fonds. Es geht darum, dass man Gespräche erleichtert, Kontakte erleichtert, Vertrauen herstellt.

In der momentanen Situation mit der Ankunft vieler ukrainischer Kriegsflüchtlinge, sind Sie da auch organisatorisch gefordert?
Petrilak: Das kommt natürlich dazu. Ein Beispiel: Eine hilfsbereite Familie hier hat eine freie Wohnung und dort jetzt sechs ukrainische Flüchtlinge aufgenommen. Eine Oma, zwei Mütter, einen jungen Studenten, zwei Kinder, drei und acht Jahre alt. Die einheimische Familie hat keine eigene Erfahrung im Umgang mit Geflüchteten. Da ist es natürlich gut, wenn man auf vorbereitete Helfer trifft und beim Landratsamt Deggendorf organisatorische Formulare herunterladen kann.

Wie ist das Prozedere, was haben Geflüchtete zuerst zu beachten?
Dass sie sich im Anker-Zentrum anmelden, dass sie sich am Landratsamt anmelden und bei der Gemeinde, dass sie sich nach einer Unterkunft umschauen. Den Ukrainern ist es gleich erlaubt, die sind da bevorzugt gegenüber anderen Nationalitäten. Was mich wieder sehr irritiert, aber mei, das ist halt eine europäische Nation, von daher sieht man bei Staat, Behörden und in der Öffentlichkeit die ganze Sache ganz anders als bei anderen Herkunftsländern.

Haben Sie Spannungen wahrgenommen zwischen russischstämmigen Menschen und ukrainischen Staatsbürgern?
Petrilak: Nein. Es gibt zwar durchaus bei den einheimisch gewordenen Spätaussiedlern die Ängste, dass sie als russisch angesehen werden, wenn erkenntlich wird, dass sie Russisch beherrschen. Aber eine echte Erfahrung, dass sie deshalb blöd oder aggressiv angeredet worden werden, haben sie meines Wissens nach noch nicht gemacht. Auch von nun angekommenen Ukrainern nicht. Die erwähnte ukrainische Familie sagt, das ist die verrückte russische Regierung, die versucht ihren Machtbereich zu erweitern. Aber das habe ja mit den Russen nichts zu tun, die sie in der Nachbarschaft gehabt haben, oder mit denen die über der Grenze leben. Viele Ukrainer haben Verwandtschaft in Russland und sagen, "das sind doch deshalb nicht meine Feinde!". Da kann ich aktuell keine Spannungen feststellen.

Auch von der deutschen Gesellschaft gegenüber Russen nicht?
Petrilak: Nein. Die gerechtfertigte Abneigung soll sich auf die Politik der russischen Regierung beziehen, da ist es ja auch zutreffend. Auch viele Russen, die in Deutschland leben, sagen, der Krieg ist ein Verbrechen, ein Verbrechen an einem Brudervolk.

Gibt es Kontakt zwischen den Gruppen?
Petrilak: Ich habe die eingangs erwähnte Familie gleich an den interkulturellen Verein Mostik in Deggendorf verwiesen. Da waren die Familie auch schon zu einem Kennenlernkaffee. Der Verein Mostik (das heißt „Brückchen“) ist von Spätaussiedlern gegründet worden, aber auch viele Russen sind dabei. Dieser internationale Verein ist sehr offen russischsprachigen Menschen gegenüber, die haben nichts gegen Ukrainer. Dieses Vernetzen, das Kennenlernen, das Austauschen von Erfahrungen hierzulande, all das ist sehr wichtig für die Neuankömmlinge.

Wo sehen Sie noch Probleme?
Petrilak: Die Bürokratie ist schon zäh bei uns, das dauert alles unheimlich lang, viel Papier ist notwendig. Die Ukraine ist demgegenüber viel weiter in der Digitalisierung. Und eines muss man richtig stellen: Viele Deutsche glauben irrtümlich, die Ukrainer verstünden nur Ukrainisch. Die verstehen jedoch alle Russisch. Die Ukrainer sind genauso russischsprechend wie ein Österreicher Deutsch spricht. Das verstehen sie bei uns anscheinend von Amts wegen noch nicht so richtig. Wenn zum Beispiel ukrainische Lehrerinnen und Lehrer gesucht werden, damit den ukrainischen Kindern Unterricht auf Ukrainisch erteilt wird, muss man sagen, das ist irrig. Auch die allermeisten ukrainischen Kinder sprechen mindestens als Zweitsprache russisch. Diesen Unterricht könnten auch viele der einheimisch gewordenen Spätaussiedler halten, die in dem ehemaligen Riesenreich als Lehrerinnen und Lehrer gearbeitet hatten .

Haben Sie einen Überblick, wie viele Familien untergekommen sind in Plattling?
Petrilak: Das wechselt sehr. Weil wir in den neunziger Jahren bereits viel Zuwanderung auch von Spätaussiedlern aus der Ukraine gehabt haben, gibt es für viele Neuankömmlinge schon Ansatzpunkte wohin sie weiter ziehen.

Funktioniert auch das Ankommen in der deutschen Bürokratie?
Petrilak: Es funktioniert besser als in den neunziger Jahren. Leitfäden und Anträge gibt es auf der Seite des Landratsamts in deutscher, ukrainischer und russischer Sprache. Das ist ein zwar bisschen lustig, weil es lediglich Google-Übersetzungen sind. Da denkt sich mancher russisch oder ukrainisch Sprechende schon manchmal „hmm, das hätte ich anders geschrieben“. Aber man versteht schon recht gut, um was es geht.

Und die nötigen Dokumente sind vorhanden?
Petrilak: Die Digitalisierung in der Ukraine ist viel weiter als bei uns. Die haben auf dem Handy ihre Steuer-ID drauf, ihren Personalausweis, ihren Bankzugang und so weiter. Da reibt man sich die Augen. Ukrainische Kinder könnten am Smartphone noch am Unterricht teilnehmen in der Ukraine, wenn die Eltern hier einen Handyvertrag abschließen können. Es sind ja nicht alle Gebiete in der Ukraine der Zerstörung anheimgefallen. Viele Schulen kriegen es aktuell noch hin, dass sie das Unterrichtsangebot aufrechterhalten. Deswegen ist es ja so wichtig, dass die Familien hier schnell einen Bankzugang bekommen, um solche einfachen Dinge regeln zu können.

Und dabei helfen Sie? Petrilak: Was ich mit der ukrainischen Familie als erstes gemacht habe war, dass ich mit ihr zur Sparkasse bin, um bei der Kontoeröffnung zu helfen. Zum Glück spricht der älteste Sohn englisch, das ist hierzulande schon ein Vorteil. Wichtig ist bei allen ersten Behördengängen, dass man jemanden hat, der einen gewissermaßen an der Hand nimmt und hinführt. Man ist ja auch örtlich nicht vertraut. Wo finde ich in der Stadt das Rathaus, wo Geschäfte? Ich war auch ganz banal bei den ersten Einkaufen mit dabei.

Kam es zu Kulturschocks? Petrilak: Die 70-Jährige hat gleich gefragt: Wo ist der Basar? Ich: Haben wir nicht, wir haben im Vergleich nur einen eher klitzekleinen Wochenmarkt, aber auch nur am Mittwoch und am Samstag. Die Oma wird darüber ein bisschen enttäuscht sein. Denn die Familie kommt aus Odessa, einer riesigen Stadt mit eben einem sehr großen Basar. Aber auf der anderen Seite fühlt die Familie sich doch sehr heimelig bei uns. Sie finden es z.B. großartig, dass Kinderspielplätze schnell erreichbar sind, weil sie eben die zwei Kleinen dabei haben.

Thema Integration von Kindern: Wie schnell können die in Kindergärten und Schulen?
Petrilak: Das wird das nächste sein. Ukrainer können 90 Tage als Touristen hier sein, erst danach greift die Schulpflicht. In dieser Zeit von einigen Wochen kann man das behördlich durchaus organisieren. Die Schwierigkeit ist dabei, dass man die Plätze schaffen und dabei den Personalschlüssel beachtet. Wobei man in Kindergärten auch dezent überbesetzen kann. Man soll sich auch nicht einen zu großen Kopf machen, ob man da jetzt russischsprachige Erzieherinnen hat. Kinder lernen so rasant schnell voneinander.

Und was machen Erwachsene? Petrilak: Erster Schritt ist der Sprachunterricht. Über die Stadtverwaltung ist es mit der Volkshochschule schon angeleiert einen Sprachkurs in Plattling zu organisieren.

Zweiter Schritt Arbeit?
Petrilak: So wie ich das jetzt sehe am Anfang, wird es da überhaupt keine Probleme geben. Ich bin mit der Familie zur Sparkasse, schwupps, war schon ein Unternehmer da, der nach Ukrainern sucht die ihm beim Fenster montieren helfen. Auch der Arbeitsmarkt ist offen. Die Unternehmen gehen da wesentlich pragmatischer vor. Nahezu jeder Betrieb hat jemanden, der Russisch kann. Und mit Händen und Füßen kommt man auch zusammen.

Die Hilfe für Ukrainer läuft vor allem über den Landkreis.
Petrilak: Die staatliche Hilfe wird komplett über den Landkreis organisiert. Wo ich und andere Flüchtlingshelfer aktiv sind, ist bei den praktischen Ausführungen vor Ort. Ich würde unseren Verwaltungen sagen: Stützt euch doch bitte mehr auf unsere Russlanddeutschen. Da ist Potenzial da.

Sehen Sie da auch die Stadt mehr gefordert, solche Potenziale zu heben?
Petrilak: Die Stadt eher nicht. Die hat da zu wenige Einflussmöglichkeiten, z.B. auf die Schullandschaft. Da sehe ich den Landkreis gefordert. So Dinge, die jetzt privat passieren, oder Willkommensnachmittage wie vom Kinder- und Familienbund und vielen anderen Vereinen im Landkreis organisiert, halte ich für eine ganz tolle Sache. Da könnte ich mir durchaus ein Engagement der Stadt vorstellen. Das werde ich auch mit der Stadtverwaltung klären, was wir da tun können. Um den Menschen das Gefühl zu vermitteln, dass sie bei uns in Sicherheit sind und auch willkommen sind.

(Das Gespräch führte Benedikt Baumgartner)

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